Den Patienten ins Zentrum stellen – der Aufklärungsversuch eines Missverständnisses

Die Begriffe “Patient Centricity” oder “Patient Empowerment” sind bereits schon früh im 20. Jahrhundert im amerikanischen Sprachraum verwendet worden. Die Wichtigkeit der Aussage “den Patienten ins Zentrum zu stellen”, wird niemand wirklich anzweifeln. Was gewisse Interessengruppen aber darunter verstehen und was sie daraus machen, ist eine ganz andere Geschichte.

Die medizinischen Fachpersonen sehen die Gesundheit des Patienten als das höchste Gut an. Sie geben alles, damit kranke Patienten wieder nachhaltig gesund werden. Damit sie ihr Ziel möglichst optimal und zeitnah erreichen können, benötigen sie nebst einer guten Sozialkompetenz verschiedene Hilfsmittel wie Therapien, Medikamente, Untersuche und Daten.

Im Zeitalter der Digitalisierung im Gesundheitswesen haben sich Techniker und Datenexperten den Begriff “den Patienten ins Zentrum stellen” einverleibt. Die Datenschützer sind dabei die treibende Kraft. “Die Daten gehören dem Patienten” konnte man von allen Seiten hören und lesen. Die gesetzlichen Bestimmungen rund um den Datenschutz haben damit weltweit eine Grundlage erhalten und wurden regional in Form von GDPR, DSGVO oder in der Schweiz vom neuen Datenschutzgesetz (DSG) übernommen und umgesetzt.

Die Initiative rund ums elektronische Patientendossier (EPD) wurde vom BAG respektive dem Bundesrat gesetzlich verankert. “Den Patienten ins Zentrum stellen” wurde damit datenprozessual umgesetzt. Jeder Patient hat ein Anrecht auf ein EPD, kann damit folglich bei jeder Gesundheitsorganisation seine Daten anfordern und auf sein EPD zur Verfügung stellen lassen. Die Patienten haben damit das Recht, mit Ihren Daten zu machen was sie möchten – mit anderen Medizinischen Fachpersonen zu teilen oder sogar zu löschen. Somit ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen gelöst – aus prozessualer sowie aus datenschutzrechtlicher Sicht.

Wirklich? Bin ich als Patient denn verantwortlich dafür, dass alle während meiner Erkrankung involvierten Gesundheitsorganisationen und Medizinischen Fachpersonen alle Informationen über mich zum richtigen Zeitpunkt in der Vollständigkeit zur Verfügung haben, wie sie es benötigen, um die bestmögliche Therapie für mich zu wählen?

Die Patienten werden hier ganz sicher ins Zentrum gestellt – jedoch hat dies primär nichts mit “Patient Centricity” oder “Patient Empowerment” zu tun. Bei dieser “ungerichteten Kommunikation“, wie sie im EPD-Kontext genannt wird, wird sicher gestellt, dass die Patienten ihr Recht auf ihre Daten ausüben können. Ob sie diese im Sinne von “Patient Empowerment” auch verstehen und zum eigenen Wohl einsetzen können, kann nicht garantiert werden.

Das EPD wird also weder die Patienten besser info- oder involvieren noch dazu beitragen, dass die Daten zwischen den Medizinischen Fachpersonen und Gesundheitsorganisationen besser ausgetauscht werden können. Es sichert einfach das Recht der Patienten, Zugriff auf die Daten zu erhalten, auf die sie ein Anrecht haben.

Was den Patienten viel mehr bringt als das EPD ist ein verbesserter Austausch von Gesundheitsdaten unter den Medizinischen Fachpersonen oder Gesundheitsorganisationen. Dies wird im EPD-Kontext unter “gerichteter Kommunikation” oder B2B verstanden. Die momentane Lage rund um den nahtlosen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen Medizinischen Fachpersonen und Gesundheitsorganisationen ist gelinde gesagt besorgniserregend. Ein Grossteil der Informationen von vorbehandelnden Fachpersonen stehen dem aktuell behandelnden Arzt nicht zur Verfügung. Und wenn, dann viel zu spät oder nicht vollständig. Deshalb entstehen Zweit- und Drittanalysen sowie wiederholte radiologische Untersuche was addiert zu Unsummen von zusätzlichen, vermeidbaren Kosten führt.

Doch viel wichtiger als die Kosten ist der Therapieerfolg der Patienten. Jede Medizinische Fachperson, die Zugang zur medizinischen Geschichte und damit zu mehr Datenpunkten der Patienten erhält, nimmt dies dankbar entgegen. Damit lassen sich Diagnosen schärfen und verbesserte Therapieerfolge erzielen. Durch einen nahtlosen Austausch von Gesundheitsdaten in Begleitung von bedarfsgerechter Kommunikation können Medizinische Fachpersonen gemeinsam Entscheide fällen und sich anhand Zweitmeinungen rückversichern.

In meinen Präsentationen zu unserer B2B- und B2B2C-Plattform (www.healthbrain.online) werde ich oft gefragt, wie sich die Lösung gegenüber dem EPD abgrenzt. Im EPD-Kontext ist unsere Lösung ein “EPD-naher Zusatzservice”, welcher nicht die MPI des EPD benutzen darf und EPD-Daten klar abgrenzbar machen muss. Für eine gerichtete Kommunikation steht somit nichts im Weg.

Im Moment stellt sich der Bund die Frage, wie es mit dem EPD und der Gesundheitsdigitalisierung in der Schweiz weitergehen soll. Damit verbunden sind Investitionen in Milliardenhöhe. Fakt ist, dass das momentane Missverständnis angepasst werden muss. Zugunsten von was, das steht noch in den Sternen.

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